Zweig, 2024

Ein dünnes Zweiglein, umgeben von tiefem Schwarz, reduziert auf seine Form, seine Struktur. Obwohl ein flaches Abbild, wirkt die Figur beinahe greifbar. Aufrechtstehend erinnert der Zweig an eine naturalistische Illustration aus einem Lehrbuch für Botanik. Dass es sich um eine Vergrösserung handelt, ist klar. Die Grösse der natürlichen Erscheinung hingegen bleibt unklar. Bei Zweig handelt es sich um eine Bildwerdung durch Projektion, also um ein fotografisches Verfahren ohne Kamera. In verschiedenen Experimenten in der Dunkelkammer habe ich kleine Tannenzweiglein in den Filmhalter geklemmt, um diese dann auf lichtempfindliches Fotopapier zu projizieren. Dadurch findet eine enorme Vergrösserung des Objekts statt, die Strukturen der winzigen Tannenzweige offenbaren sich mit einem immensen Detailreichtum. Der Ästhetik eines Röntgenbildes ähnlich, schillernd zwischen Positiv und Negativ, entwickeln die Zweige eine ungeahnte Plastizität. Der Moment dieser ersten Entdeckung fühlte sich an wie Magie. Ich war überwältigt von dieser Dreidimensionalität. In diesem Punkt zeigt sich die für mich bis heute anhaltende Faszination des Nicht-Greifbaren in der Fotografie, deren Entstehung zwischen reinen Lichtstrahlen, der Präsenz des Objekts und dessen gleichzeitiger Abwesenheit pendelt. Mit der Wiederaufnahme der analogen Prozesse und Experimente im Fotolabor ist Zweig das erste Bild einer aktuellen Serie von grossformatig umleuchteten fotografischen Untersuchungen.

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